Vor einiger Zeit hatte mir Bernhard ein Bild zukommen lassen, welches im Bahnhof Weismes (Waimes) zwei vermeintlich britische Personenwaggons zeigt, verbunden mit der Frage, ob diese Wagen nur britischen Ursprungs seien (also dort gebaut und an die SNCB geliefert wurden) oder ob es sich hierbei tatsächlich um britische Wagen handelt, die (regulär oder aufgrund besonderer Begebenheiten) den Weg über den Kanal in die ostbelgische Provinz gefunden haben.
Zugegebenermaßen wusste ich auch keine wirkliche Antwort, und meine erste Vermutung war, dass es sich vielleicht um Wagen zum Transport britischer Streitkräfte zum nahegelegenen Truppenübungsplatz Elsenborn handeln könnte. Doch sollte man tatsächlich einen solchen Aufwand betreiben, um mit eigenem Wagenmaterial ins Manöver zu ziehen? Um Licht ins Dunkel zu bringen, bat ich meinen belgischen Bekannten Jean-Pierre um Hilfe. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und diese wurde bereits im 'Forum der britischen Eisenbahnen' durch Bernhard geteilt. Siehe hier: http://75355.homepagemodules.de/t4531f39...in-Belgien.html
Der Einfachheit halber, auch hier die Antwort von Jean-Pierre:
In Vorbereitung auf den D-Day 1944 hatten RAF und USAF auch in Frankreich und Belgien wichtige Bahnknotenpunkte bombardiert und natürlich auch vor den Depots nicht halt gemacht, um vor allem der Wehrmacht den Nachschub abzuschneiden.
Als schließlich die Alliierten in der Normandie landeten, gestaltete sich der Vormarsch bzw. der Rückzug der Wehrmacht weitaus schneller als gedacht. Das ausgeklügelte System namens "Red Ball" wo mit Hilfe von GMC-Trucks die vorrückenden Kräfte mit Nachschub versorgt wurden, geriet ins Schwanken, da die Entfernungen zur Front einfach zu weit wurden. Ein neues System musste her und fand seine Lösung in der Bahn, doch franz. und belg. Rollmaterial war ja vorher selbst zerbomt worden und wurde jetzt dringend gebraucht. Jedoch schon kurz nach D-Day kamen die ersten Loks und Wagen der Amerikaner an (USATC) und konnten den Nachschub einigermaßen sichern, aber auch die Engländer brachten einiges an Rollmaterial mittels umgebauter Trakjekte über den Kanal. Problem war nur, dass deren Rollmaterial im Gegensatz zum US-Material aufgrund der Bremsanlagen nicht kompatibel zum kontinentaleuropäischen Rollmaterial war. Somit mussten alle englischen Wagen auch mit englischen Loks bewegt werden. Die Engländer hatten dazu auch eigene Lokmannschaften denen ein belgischer bzw. französischer Lotse zur Seite gestellt wurden. So kam das alliierte Rollmatarial bereits im Herbst 1944 bis weit ins Landesinnere in Frankreich und Belgien. Dezember 1944/ Januar 1945 startete die Wehrmacht jedoch die sog. Ardennenoffensive wo die deutschen Truppen etliches an Boden wieder gutmachten. Damit geriet einiges an Rollmaterial der Alliierten auch hinter die Front und verblieb dort. Es war jedoch nur eine Momentaufnahme und der Ausgang ist bekannt. Es gab nun aber das Problem, speziell beim englischen Rollmaterial, dass dieses verstreut auf diversen Bahnhöfen lag (u.a. auch auf der Vennbahn, die von den Kämpfen stark betroffen war). Der Knotenpunkt St. Vith war z.B. komplett zerstört und so konnte man Weismes nur über Luxemburg erreichen. Das erklärt die Wagen dort, die dort fest hingen. Derartige Artefakte gab es mehrere im Lande und da man ja englische Loks brauchte um die englischen Wagen zu bewegen, blieben diese erstmal stehen, mitunter auch Jahre ehe sie wieder den Weg zurück über die Insel fanden.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Wie im Beitrag geschrieben wurde ja nicht nur Wagenmaterial, sondern auch die passenden Loks ab Ende 1944 / Beginn 1945 dazu über den Kanal geschafft. Es handelte sich hierbei vor allem um Loks der 'Austerity-Klasse' (im Prinzip das britische Pendant zu den deutschen BR 42 und 52). Diese Maschinen wurden in Malines / Mechelen gewartet und bekamen bei dieser Gelegenheit auch gleich eine belgische Loknummer verpasst.
Dies waren für das britische War Department (WD) folgende Schlepptenderloks: 2-8-0 Loks: 70.800-70.879, 77.000-77.509, 78.510-78.718, 79.177-79.912 2-10-0 Loks: 73.650-73.799
Ob alle Loks eine belgische Nummer bekamen kann ich nicht sagen. Kurios ist hierbei, dass diese bereits 1945 eine 5-stellige Nummer erhielten, wo diese doch erst 1946 offiziell bei der SNCB eingeführt wurde. Diese Loks waren somit Vorreiter für das neue Nummernsystem. Bildlich belegt ist dies mehrfach im unten benannten Buch von Phil Dambly. Der Großteil dieser Loks ging im Laufe des Jahres 1947 wieder über den Kanal zurück, wo sie erst bei der LNER und später dann unter der Reihenbezeichnung 90000 (2-8-0) bzw. 77000 (2-10-0) bei der BR z.T. bis in die 1960er Jahre liefen. Die restlichen Loks (insgesamt 103 Stück) wurden weiter an die NS verkauft, wo sie unter der Reihenbezeichnung 5000 Dienst taten (Loks 5001-5103). Ein Exemplar (5003) blieb im Eisenbahnmuseum in Utrecht erhalten. Die Ausmusterung der niederländischen Loks erfolgte in den 1950er Jahren.
Dies ist nur ein kurzer Abriß über die Geschichte britischer Dampfloks (und Wagen) auf dem Kontinent, der im Prinzip ausschließlich dem 2.Weltkrieg geschuldet war und lediglich eine kurze Episode blieb.
Gruß, Stephan
Quelle: Phil Dambly „Nos inoubliables vapeurs“
Hier noch Bildbelege und weiterführende Informationen zu den Loks:
ja, das ist ein sehr interessantes Thema, danke Stephan fürs posten
Im Übrigen gibts weitergehende Informationen zu den Lokomotiven des britischen War Department natürlich auch auf deutsch , im BritischeBahnWiki mit vielen schönen alten Bildern: